Wenn ein Mensch mit dem Tod, einer schweren Verletzung oder sexueller Gewalt konfrontiert wird und sich dabei hilflos und allein fühlt, kann ein Trauma entstehen. Dauert diese psychische Höchstbelastung über einen längeren Zeitraum an oder finden immer wieder traumatisierende Ereignisse statt, kann ein komplexes Trauma entstehen.
Was genau eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) ist, an welchen Symptomen sie sich zeigt und was du tun kannst, wenn du selbst oder ein Mensch in deiner Umgebung an einem komplexen Trauma leidet, kannst du hier lesen.
Wie entsteht ein komplexes Trauma?
Traumata sind starke psychische Erschütterungen, die durch kurz oder lang anhaltende, überwältigende Ereignisse entstehen, die eine Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen darstellt. Dabei muss die Bedrohung nicht einen selbst betreffen. Das Trauma kann auch durch das unmittelbare Miterleben solcher Ereignisse oder ihr Vorkommen bei nahen Freunden oder in der Familie ausgelöst werden.
Wenn mehrere traumatische Einzelergebnisse zusammenkommen und das weitere traumatische Geschehen nicht vorhersagbar ist, entsteht bei 8-15 % aller traumatisierten Personen ein komplexes Trauma. In den meisten Fällen entsteht ein solches Trauma durch direktes Kriegserleben als Zivilist, eine Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauch.
Obwohl solche Erlebnisse bei nahezu jedem eine tiefgehende Verzweiflung auslösen würden, entwickeln Studien zufolge in Deutschland nur 1-4 % der Menschen, die solche traumatischen Erlebnisse haben, eine posttraumatische Belastungsstörung oder kPTBS. Der Rest der Betroffenen entwickelt eine Resilienz oder psychische Widerstandsfähigkeit durch Bewältigungsstrategien.
Allerdings leiden auch diejenigen, die keine posttraumatische Störung entwickeln, häufig an anderen psychischen Störungen, für die traumatische Erfahrungen Risikofaktoren darstellen. Je häufiger sich ein Trauma wiederholt, desto wahrscheinlicher ist das Entstehen eines komplexen Traumas (Bausteineffekt).
Der Unterschied zu einer posttraumatischen Belastungsstörung
Besser bekannt und erforscht als das komplexe Trauma ist bisher die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), auch bekannt als Posttraumatic Stress Disorder (PTSD). Sie wurde vor allem im Zusammenhang mit Kriegsrückkehrern untersucht. PTBS hat viele der gleichen Symptome wie das komplexe Trauma, unter anderem eine ungewollte Gebundenheit an das Trauma, das die Traumatisierten in Bildern, Geräuschen und Erinnerungen immer wieder heimsucht.
Des Weiteren zeigt sich eine PTBS in der Vermeidung von allem, was das Trauma triggern könnte und damit einhergehend oft mit sozialem Rückzug. Außerdem sinkt aufgrund der traumatischen Erlebnisse die Erregungsschwelle des autonomen Nervensystems, was zu einer allgemeinen Erregungssteigerung führt. Alle Reize des Körpers werden verstärkt und Betroffene leiden an häufigen Reizüberflutungen und können auch nachts schlecht schlafen.
Beim komplexen Trauma kommen zu diesen Symptomen außerdem ausgeprägte Affektregulationsstörungen, die sich durch eine anhaltende Reizbarkeit ausdrücken kann, eine negative Selbstwahrnehmung und Beziehungsstörungen dazu.
Symptome eines komplexen Traumas
- Wiedererleben des Traumas im Hier & Jetzt
- Vermeidung von Triggern/ Numbing
- sozialer Rückzug und Beziehungsstörungen
- Erregungssteigerung und damit verbundene Reizüberflutung, Schlafstörungen, etc.
- Affektregulationsstörungen
- negative Selbstwahrnehmung
Was kann ich tun?
Wenn Sie selbst an einem komplexen Trauma leiden, können Sie Unterstützung in der Behandlung durch einen Psychotherapeuten finden. Durch Methoden der traumaspezifischen Psychotherapie können die Symptome eines komplexen Traumas gelindert werden. Studien zu PTBS haben außerdem gezeigt, dass soziale Unterstützung eine große Rolle beim Umgang mit dem Trauma spielt. Nicht nur das familiäre Klima, sondern auch Anerkennung, Mitgefühl und Verständnis im sozialen Umfeld helfen Betroffenen, mit ihrem Trauma zu leben.
Eine zunehmend evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, bei der Entscheidungen patientenorientiert auf der Grundlage der vorliegenden Symptome getroffen werden, sorgt dafür, dass das Krankheitsbild des komplexen Traumas inzwischen zunehmend bekannter wird. Dadurch bekommen Betroffene gesellschaftlich die Akzeptanz und Unterstützung, die sie brauchen.
Um sich gegen Gewalttäter:innen zur Wehr zu setzen (auch in Bezug auf emotionale oder finanzielle Gewalt), sehen Sie sich bitte im Menü die Seite “Unterstützung finden” an.
Quellen:
PTSD and Complex PTSD: ICD-11 updates on the concepts of measurement in the UK, USA, Germany, and Lithuania. (2017). DOI: 10.1080/20008198.2017.1418103
Hecker & Maercker: Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung nach ICD-11. (2015).