Leider waren posttraumatische Belastungsstörungen und komplexe Traumata noch nicht entdeckt und beschrieben, als Europa nach dem Zweiten Weltkrieg voller traumatisierter Menschen war. Viele kennen noch die Geschichten von Vätern und Großvätern, die aus dem Krieg zurückkamen und nie wieder die fröhlichen, liebevollen Menschen wurden, als die ihre Familie sie kannte. Auch heute erleben Menschen im Krieg komplexe Traumata. Wie diese aussehen und inzwischen behandelt werden können, beschreiben wir hier.
Was ist ein komplexes Trauma?
Wenn ein Mensch einer andauernden psychischen Höchstbelastung durch anhaltende Gewalterfahrungen, schwere Verletzungen oder eine besonders einschneidende Konfrontation mit dem Tod ausgesetzt ist, kann ein komplexes Trauma entstehen. Diese Erlebnisse von außergewöhnlicher Bedrohung können natürlich nicht nur in Kriegssituationen stattfinden. Auch durch andere Ereignisse kann es zu komplexen Traumata kommen. Beispiele können politische Haft oder wiederholte sexuelle Gewalt und Kindesmissbrauch sein.
Betroffene haben Symptome wie Nachhallerinnerungen, bei denen sie das Trauma im Hier und Jetzt wieder erleben und werden oft in ihren Träumen von den belastenden Erinnerungen heimgesucht. In Situationen, die der Belastung ähneln oder damit in Zusammenhang stehen, geraten sie in innere Bedrängnis und versuchen oft, solche Situationen unter allen Umständen zu vermeiden. Damit gehen oft sozialer Rückzug und gestörte Beziehungen einher.
Im Unterschied zu der besser bekannten posttraumatischen Belastungsstörung dauert die traumatisierende Situation bei einem komplexen Trauma über einen längeren Zeitraum an. Auch die resultierenden Symptome unterscheiden sich.
Komplexe Traumata in Kriegssituationen
Wenn man sich die Entstehung komplexer Traumata ansieht, wird schnell klar, dass sie besonders in Krisensituationen mit ihren Extrembelastungen entstehen können. In diesem Zusammenhang wurden komplexe Traumata auch erstmals untersucht. Unter anderem die Arbeit mit Kriegsrückkehrern aus den Weltkriegen sowie Vietnam-Kriegsveteranen führte zur ursprünglichen Entwicklung des Konzeptes.
Bis dahin hatte man komplexe Traumata als Schwäche oder “Rentenneurose” abgetan und Betroffene als “Kriegszitterer” bezeichnet. Erst ab 1980 wurde die posttraumatische Belastungsstörung als Diagnose anerkannt, das komplexe Trauma folgte.
Situationen in Kriegen, in denen komplexe Traumata entstehen können, umfassen Kriegsgefangenschaft und Geiselhaft, Folter, Flucht sowie wiederholte (sexuelle) Gewalt. Nicht nur wer Gewalt erfahren hat, kann in diesen Situationen ein Trauma davontragen. Wer die Gewalt (oft unter Zwang) ausübt, kann ebenfalls ein Trauma entwickeln. Auch Menschen, die weder als Opfer noch als Gewalttäter beteiligt sind, die Gewalt aber als Zeugen miterleben, können ein indirektes Trauma entwickeln.
Menschen mit komplexen Traumata
Schätzungen zufolge leiden 5-10 % der Bevölkerung an einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einem komplexen Trauma. Es ist also nicht so unwahrscheinlich, dass auch du jemanden in deinem Familien- oder Bekanntenkreis hast, der damit kämpft. Auch wenn Kriegstraumata weithin als männliches Krankheitsbild angesehen werden, haben Studien zufolge Frauen in ähnlichen Situationen ein doppelt so hohes Risiko, komplexe Traumata zu entwickeln.
Obwohl wir bei dem Thema oft Stereotypen aus US-Filmen und Serien im Kopf haben, leiden auch in Deutschland viele Menschen unter komplexen Traumata. Neben Bundeswehrsoldat:innen, die zum Glück häufig psychologische Begleitung bei ihren Kriegseinsätzen erfahren, können das vor allem Menschen mit Fluchterfahrungen sein. Wegen ihrer Situation, fehlender Informationen und der Sprachbarriere im Ankunftsland, erhalten diese Menschen leider oft viel zu wenig Unterstützung im Umgang mit ihrem Trauma.
Forschungen haben gezeigt, dass Verständnis und Unterstützung aus dem Umfeld bei komplexen Traumata von großer Bedeutung sind. Außerdem kann eine Behandlung mit Methoden der traumaspezifischen Psychotherapie Betroffenen helfen.
Quellen
Hecker & Maercker: Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung nach ICD-11. (2015).
Roestel & Kersting: Einfache und komplexe Posttraumatische Belastungsstörungen. (2008).