Narzissmus

Narcissus, Caravaggio

Die schlechte Nachricht zuerst:

Leute, die die absolute Macht über andere Menschen (auch und insbesondere über Kinder) haben wollen, weil sie dann einen gottgleichen Status haben, die aber diese Macht von der sozialen Verantwortung, die damit verbunden ist, entkoppeln, missbrauchen ihre Macht. Sie haben einen schlechten Charakter, der von außen – selbst durch die bedingungslose Liebe eines Kindes – nicht umgedreht werden kann.

Nun die gute Nachricht:

Diese Leute können durch die Einsicht, dass Macht immer an Verantwortung gebunden ist, SELBST etwas dagegen tun, nämlich sich durch Einsicht entwickeln. Sie können einen Prozess von Selbstreflexion und Einsicht durchlaufen und dadurch „nachreifen“. Sie können sogar durch die Fremdreflexion, die andere Menschen ihnen bieten, wachsen, indem sie die Fremdreflexion annehmen und akzeptieren, die Kritik an ihnen als „wahr“ einstufen, statt sie sofort als ungerechtfertigt abzutun, und dann eine Einsicht gewinnen, dass die anderen Recht haben. Dieser Ansatz der Demut – statt der Anmaßung – führt zu einem harmonischeren Miteinander und einem echten Respekts- und Machtgefüge.

Der Machtmissbrauch resultiert so gut wie immer aus einer unterlegenen Position heraus, aus der die missbrauchende Person mit normalen Mitteln nicht herausfindet, weil sie zu schwach ist; sie muss ihre Bedürfnisse von anderen aber erfüllt bekommen. Diese betreffen alle Ebenen des menschlichen Miteinanders: die physische/sexuelle, die emotionale, die geistige und die spirituelle Ebene. Auch das Bedürfnis nach ungeteilter Aufmerksamkeit gehört dazu.

Solche Personen haben schon im Kindesalter gelernt, dass ihre Bezugspersonen nicht adäquat auf ihre Bedürfnisse eingehen, und holen sich, was sie brauchen, weil ihre Bezugsperson nicht einfühlsam genug ist, um die Bedürfnisse zu erraten. Da das Kind sich nicht anders auszudrücken weiß, beginnt es Machtspielchen. Steht die Bezugsperson dann immer noch auf dem Schlauch, verfestigt sich der Gedanke beim Kleinkind, dass die Bedürfniserfüllung selbst durch einen Warnschuss wie einem Machtspielchen nicht von selbst vonstatten geht. Der Widerstand wächst, die Bezugsperson muss unter Kontrolle gebracht werden, damit das Kind überlebt. Ja, es geht für das Kind tatsächlich ums Überleben!

Wiederholt sich diese Dysfunktionalität, brennt sich dieses Muster beim Kind ein, es generalisiert den Gedanken, dass seine Bedürfnisse grundsätzlich nur bei Gewalt(androhung) erfüllt werden.

Gewalt ist immer ein Ersatz für Sprache. Gewalt ist die Sprache der Sprachlosen.

Da Kinder nun mal Kinder, und keine Erwachsenen in kleinen Körpern sind, gemeint ist, dass sie nicht in der Lage sind, sich innerlich gegen andere Leute abzugrenzen, können sie demnach auch nicht zur Dysfunktionalität der Bezugsperson auf Distanz gehen. Ein gesunder Erwachsener kann das, er zieht sich aus Selbstrespekt von so einer Person zurück, die ihre Bedürfnisse dauernd und nachhaltig nicht erfüllt und sucht sich eine andere Bezugsperson, die das kann (zumindest genügend).

Wird dieses Kind, auf dessen Bedürfnisse nicht ausreichend eingegangen wurde, nun erwachsen, und verbleibt es in seiner eigenen Dysfunktionalität, wird diese Person mehr oder weniger auffällig gewalttätig anderen gegenüber.

ABER: Diese Gewalt betrifft nur die Bezugsperson, nicht alle anderen!

Es mag einem zuerst wie Unhöflichkeit vorkommen, dass jemand weder „bitte“, noch „danke“, noch „Entschuldigung“ sagen kann, um seine Bedürfnisse klarzustellen, aber mit der Zeit geraten beide – der Gewalttäter und seine Bezugsperson – in einen Teufelskreis aus Co-Abhängigkeit, Verachtung und Verführung, Dominanz und geheuchelter Unterwerfung, massiver Ignoranz und massiver Aufmerksamkeitssuche, Anmaßung und geheuchelter Reue. Und da sich das alles im Privaten abspielt, wenn „die Kameras aus sind“, sich der Gewalttäter aber in der Öffentlichkeit in einer bühnenreifen Show als der perfekte Partner oder Elternteil darstellt, verstehen alle anderen gar nicht, was man gegen ihn vorzubringen hat. Die anderen glauben (!), dass die Bezugsperson den Fang ihres Lebens gemacht hat.

Es ist eine Achterbahn der Gefühle, die die zumeist bis dato gesunde Bezugsperson weder logisch, noch emotional nachvollziehen kann, bis sie begreift, dass es für den Gewalttäter ums Überleben geht. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass der Gewalttäter immer noch auf der emotionalen Reifestufe eines Kleinkindes stehengeblieben ist, und nicht begriffen hat, dass er sich jetzt als Erwachsener auch anders auszudrücken vermag.

Reift der Gewalttäter hingegen nach, erwirbt er damit die Fähigkeit eines Erwachsenen, sich zu erklären, seine Bedürfnisse in Worte zu fassen, auch Grenzen für sich selbst auf höfliche Art zu setzen, anstatt den anderen um den Verstand und sein Selbstwertgefühl zu bringen, um ihn besser steuern zu können.